Ordnung in der New-Work-Welt
Wie intelligentes Bürointerieur und Selbstorganisation den Kopf für neue Ideen freispielen.
Zur ÜbersichtBildschirmarbeit ruft nach Ausgleich: In der großen Retreat Area eines Softwareunternehmens mit Billardtisch, Dartscheibe und Bibliothek ist – je nach Befinden – Entspannen, Plaudern oder Zielsicherheit angesagt. (c) Michael Baumgartner/Kito
Leere Gänge, geschlossene Türen, die Telefone leiten aufs private Handy um. Corona, das wie ein Booster auf Homeoffice und Flexibilisierung der Arbeitszeiten wirkte und damit auch Vorteile brachte, macht dieses Bild an vielen Bürostandorten zur Realität. Rasch führt dieses Bild zu einem Prinzip, das auch schon vor der Pandemie bekannt war. So setzte IBM beim Umbau des Hauses Diana gegenüber dem Wiener Schwedenplatz bereits vor 20 Jahren auf eine Clean-Desk-Policy und reduzierte im Zuge dessen die Anzahl der Schreibtische. Wie der Name schon sagt, sind die Arbeitsplätze spätestens nach Verlassen derselben aufzuräumen. Ob die Mitarbeiter ihre Desks dann am kommenden Tag einem anderen Kollegen überlassen, weil sie selbst sich im Homeoffice befinden, oder einfach so gerne den Kopf freihaben und daher nichts Unnötiges liegen lassen, ist für diese Philosophie irrelevant. Im einen Fall geht es um Effizienz und Wirtschaftlichkeit, im anderen schlicht darum, den neuen Arbeitstag möglichst ohne Altlasten vom Vortag zu beginnen.
Martin Thörnblom, Präsident der europäischen Innenarchitekten (ECIA, European Council of Interial Architects), plant seit über 30 Jahren Bürowelten. "New Work braucht nicht viel Platz", sagt er im Interview mit Happy together und meint damit nicht nur, dass der Laptop Stand-PC und Röhrenmonitor abgelöst hat und die Infrastruktur schlanker geworden ist. Um Ordnung zu halten, brauche es – mit oder ohne Clean-Desk-Philosophie – intelligente Konzepte und Möbel: "Wo kann ich meine Jacke aufhängen? Wo ist Platz für meinen Scooter und den Regenschirm? Wie muss ein Rollcontainer ausgestattet sein, damit ich alles, was ich unbedingt physisch benötige, unterbringe?", zählt der Inhaber des Planungsbüros Studio Thörnblom die Fragen auf, die sich die Mitarbeiter stellen.
Viel Kommunikation im Großraumbüro
In einem großen österreichischen Softwareunternehmen hat der an der Stockholmer Konstfack Universität ausgebildete Innenarchitekt einen Bürotrakt mit 6.000 Quadratmetern Fläche mit viel Glas, hellen Farben und eigens konzipierten Büromöbeln auf New Work getrimmt. Kernstück sind sogenannte Locker, in denen jeder Mitarbeiter Kleiderhaken, seine Tastatur, den Laptop und andere persönliche Gegenstände versperren kann. Eine Software teilt jedem der 500 Mitarbeiter einen der 300 verfügbaren Arbeitsplätze zu. Hybridräume, Boxen auf quadratischem Grundriss aus Holz und Schallschutzglas, stehen für konzentriertes Arbeiten, ungestörtes Telefonieren oder Onlinemeetings zur Verfügung und können ad hoc genutzt werden. Die Locker, die unter anderem auch als Raumteiler dienen, sind auf der Rückseite mit Akustik-Absorbern versehen, um die Lautstärke im Großraumbüro zu regulieren. In der großen Retreat Area mit Billardtisch, Dartscheibe und Bibliothek ist – je nach Befinden – Entspannen, Plaudern oder Zielsicherheit angesagt.
Dafür, dass im Open-Space-Büro nicht nur beim Umzug ins neu renovierte Büro Ordnung herrscht, sorgt in besagtem Softwareunternehmen ein eigener Officemanager. "Wir verbringen viel Zeit an unseren Arbeitsplätzen und das Büro ist ja für alle da. Wenn sich jemand zu sehr ausbreitet, bespricht der Officemanager mit dem jeweiligen Mitarbeiter, wie er sein Verhalten mit den Bedürfnissen der Bürogemeinschaft in Einklang bringen kann", erzählt Thörnblom aus der Praxis.
Verhalten reflektieren und Systeme schaffen
Die wenigsten Unternehmen können oder wollen sich den Luxus eines Officemanagers leisten. Wer sich an ein paar Grundregeln hält, kommt vermutlich auch ohne ihn aus. Hier kommt Selbstorganisation ins Spiel und die Buchautorin Rositta Beck, die sich auf genau diese spezialisiert hat. Denkvorgang heißt ihr Unternehmen und sie empfiehlt: "Denk den Prozess bis zum Ende." Auf die Frage, womit man beim Ordnung-Schaffen anfangen sollte, meint Beck: "Es ist wichtig, das eigene Verhalten zu reflektieren. Ein gängiges Beispiel: Habe ich so viele Stapel, weil ich alles ausdrucke? Gibt mir Papier die Sicherheit, dass ich nichts vergesse? Kann ich mir diese Sicherheit auch anders verschaffen? Und wie kann ich das bewerkstelligen?"
Wenn der Schreibtisch aussieht wie ein chaotischer Wühltisch im Kaufhaus, rät die Expertin zu folgender Vorgangsweise: "Nehmen Sie jedes Papier in die Hand und prüfen Sie, welche Wertstufe es hat: Kann es weggeworfen werden, weil es nur einen Tageswert besitzt? Bin ich zuständig oder muss es jemand anderer bekommen? Dann bekommt es diese Person. Hat das Dokument eine gesetzliche Aufbewahrungsfrist? Wenn ja, gibt es eine Ablagestruktur bzw. wie kann ich eine solche schaffen?" Im Zuge dessen mache es Sinn, zu digitalisieren, was immer möglich sei, und die Dokumente in eine digitale Struktur zu transformieren.
"Wenn ein Dokument zwar in die Ablage gehört, aber noch ein To-do besteht, wird die Aufgabe notiert – am besten in Outlook, von wo aus durch die Kennzeichnung mit einem Fähnchen sogar aus E-Mails sofort Aufgabenlisten erstellt werden können", erörtert die Beraterin aus Stuttgart. All jenen, die lieber ganz oder teilweise in der analogen Welt bleiben, empfiehlt Beck einen sogenannten Pultordner. Das ist eine Mappe mit 31 Registern für die maximale Anzahl an Tagen pro Monat.
Jede Aufgabe wandert, versehen mit einer Notiz, wo die zugehörigen Unterlagen zu finden sind, in einen bestimmten Tag. "Nach der 60:40-Regel, die ich auch selbst anwende, rate ich dazu, fünf Stunden seines Tages durchzuplanen: Dann hat man noch drei Stunden Puffer für jene Dinge, die neu hereinkommen oder die man gerne tun möchte", so Beck. Was an einem Tag nicht zu schaffen sei, weil schon zu viel auf der Liste stehe, müsse man neu priorisieren und planen, am besten am Vortag. Frei nach dem Motto: "Die Führung über meinen Tag übernehme ich. Dafür braucht es geeignete Strukturen und Prozesse, die funktionieren."
Mit Selbstorganisation zu mehr Qualitätszeit
Die Motivation für so viel Selbstorganisation liegt in Becks Elternhaus begründet. "Mein Vater hatte ein Elektrohandwerksunternehmen und musste ständig weg, um irgendwo eine Störung zu beheben. Mit zwölf Jahren bettelte ich, einen Schreibmaschinenkurs machen zu dürfen, um ihn zu unterstützen. Ich wollte, dass er mehr Zeit für uns Kinder hat", erzählt die Mutter von zwei Kindern. Das Worxellence®-System, das sie entwickelt und sich rechtlich schützen lassen hat, basiert auf dem Wunsch, Arbeit, freie Zeit und Exzellenz unter einen Hut zu bringen. "Mit meiner Methode wollte ich Familien helfen, sich mehr Qualitätszeit zu verschaffen und aus dem Workaholic-Thema rauszukommen", sagt sie.
Befragt nach den größten Hürden, nennt Beck zwei Hauptstörer: "Der eigene Perfektionismus, durch den ich mich in Kleinteiligkeit verzettle, und das Nicht-Nein-Sagen-Können. Wenn Ihr Chef mit der Idee des Tages kommt und Sie können nicht kommunizieren, dass heute eine Deadline für eine andere Aufgabe abläuft, beginnen Sie vielleicht erst gar nicht zu planen", weiß Beck aus ihrer Coaching-Praxis.
Apropos verzetteln: Über die bunten Zettel, die in vielen Büros an Schreibtisch, Pinnwänden oder Bildschirmen kleben, sind sich die Ordnungsexperten einig. Lautlos und beständig rufen sie: Noch nicht erledigt! Denk an mich!
Autorin: Mag. Rita Michlits, BWSG
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